«Werden wir die Mittagszeit überstehen?», Coop

Die Mittagszeit ist für das Coop nicht nur der Höhepunkt an Klientel, sondern auch an Diebstahl.

Es ist zwölf Uhr, die Mittagspause für die meisten Schüler und Arbeiter. Aus dem nebenanliegenden Bildungszentrum der Bundesverwaltung strömen Jugendliche in die Richtung der Sulgenbach Coop-Filiale. Einer der 2 424 Verkaufsstellen der Coop Genossenschaft. An der Ampel steht eine Gruppe Freunde, die sich in einem hitzigen Gespräch über ihre Lehrerschaft beklagt. Eine weitere Ansammlung an Menschen wartet vor dem Ausgang der Filiale. Zwischen den vereinzelten Arbeiter, die ihre Mittagspause nutzen, um ihren Wocheneinkauf zu machen oder ihr Mittagessen im Coop kaufen, erspäht man auch wenige Kinder der beiden Schulstandorte Marzili und Sulgnau. Zwischen den Regalen der Filiale taumeln sich die Coop-Kunden auf der Suche nach ihren Wunschprodukten. Die Mitarbeiter haben die Hände voll zu tun. Die Regale werden nachgefüllt, die Kassen müssen bedient werden und den Kunden muss Unterstützung geboten werden. Bei den Kassen steht man Schlange. Es ist schwierig, den Überblick zu behalten, dies nützen die Ladendiebe aus. Es wird am meisten geklaut, wenn viel im Laden los ist, an den Stosszeiten und vor allem während der Mittagszeit. Die vielen Kunden ermöglichen das schnelle Einstecken von Waren, ohne dass eine Kamera oder ein Mitarbeiter es sieht. Der Ladendetektiv, welcher meistens in einem Nebenraum hinter den Kameras stationiert ist, hat es schwierig, den Überblick zu behalten. Auch die Mitarbeiter stecken bis zum Hals in der Arbeit. Dies ist die perfekte Gelegenheit, um ohne zu zahlen, einfach aus dem Geschäft zu laufen, oder um bei den immer mehr werdenden Self-Chek-out-Kassen, nicht alle Produkte einzuscannen. Seit November 2022 kann man ausserdem frei entscheiden, ob man ein Kassenbon gedruckt habe, will oder nicht. Das macht es schwieriger für die Coop-Arbeiter einen Täter zu überlisten. Ausserdem haben sie bei Stosszeiten nicht genügend Zeit alle zu kontrollieren und zu befragen.

Es werden immer mehr.

Entwicklung der häufigsten Diebstahlformen: (Bundesamt für Statistik) https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home.assetdetail.24368562.html (Abgerufen am 17.06.32023)
Entwicklung der häufigsten Diebstahlformen: (Bundesamt für Statistik) https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home.assetdetail.24368562.html (Abgerufen am 17.06.32023)

Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik - BFS veröffentlichte am 27.03.2023 die polizeiliche Kriminalstatistik. Darin enthalten sind die Anzahl Diebstähle seit 2009. Die Anzahl Ladendiebstähle nahm im Jahr 2022 um etwa 20% zu und erreichte den Höchststand seit 2009. Die grosse Zunahme an Ladendiebstählen hängt mit den Self-Scan Automaten, den Preisen und der Anzahl Menschen zusammen. Geschäfte wie Migros, Coop, Aldi und Lidl setzten auf Self-Scan Automaten, wodurch sie etwa 1% des Umsatzes verlieren, weil die Kunden vergessen, die Ware zu scannen. Die Automaten nehmen auch die Hemmschwelle für Jung-Erwachsene Menschen und verursachen einen Reiz, Ware zu stehlen, anstatt zu kaufen. Auch die steigenden Preise wirken auf die Menschen, denn Fleischprodukte kosten verhältnismässig viel. Es lohnt sich deshalb besonders, sie mitzunehmen.

Das Coop hat keine Diebe.

Bei einer Anfrage bei Coop nach einem Interview zum Thema Ladendiebstahl, antwortete Nadine Gerber, die Leiterin für Überwachung der Coop Verkaufsregion Bern, mit einem dubiosen Satz: «Der allergrösste Teil unserer Kundinnen und Kunden ist ehrlich» lautet es in ihrem kurzen E-Mail. Gerade zwei Tage davor veröffentlichten der Blick und anschliessend auch nau.ch einen Artikel über die steigenden Ladendiebstähle. Zwei Wochen später wurden diese Artikel mit Zahlen der Kantonspolizei bestätigt. Jährlich macht das Unternehmen Coop einen Gesamtumsatz von 34,2 Milliarden Franken. Coop selbst veröffentlicht keine genauen Daten. Doch der Konkurrent Migros, spricht von einem Prozent des Umsatzes an den Kassen welches wahrscheinlich nicht gescannt wird. Bei Coop würde dies 342 Millionen Schweizer Franken ergeben. Die Zahlen sind gravierend und spielen sicherlich eine grosse Rolle im Unternehmens Finanzplan, trotzdem blockt das Coop beim Ansprechen auf das Thema sofort ab.

Der Weg zum Ladendieb.

Paul Vincent (geänderter Name), ein sogenannter Langfinger, sitzt auf der Treppe, die zum Eingang der Coop-Filiale Sulgenbach führt. Anders als man sich ein Straftäter aus dem Bilderbuch vorstellt, wirkt er gelassen. Er trägt keine Markenkleidung. Tattoos findet man auf seiner Haut nicht. Paul ist ein normaler Berner Jugendlicher. Der achtzehnjährige hat Kopfhörer in den Ohren und auf seinem Handy ändert er gerade die Musik. Neben ihm steht eine geöffnete Mate Dose. Ob diese wohl gestohlen ist? Mit 14 Jahren hat Paul das erste Mal etwas versehentlich mitgehen lassen. Paul hat damals bei einer Self-Check-out- Kasse sein Produkt eingescannt. Er weiss nicht mehr genau, welches Produkt er vergessen hatte, über den Scanner zu führen. Als ihm sein Fehler aufgefallen ist, war er bereits zuhause. Paul hat sich gewundert, dass sein Fehler niemandem aufgefallen ist. Klauen sei also gar nicht so spektakuläres, wie er es sich früher ausgemalt hat. Es fühlt sich gar nicht kriminell an, berichtet er. Er hat es anschliessend noch einmal versucht, um herauszufinden, ob es wirklich so einfach ist. Ab da ist er mit den Gedanken bewusst beim Portemonnaie geblieben. «Warum zahlen, wenn man es gratis haben kann?» fragt er. Seither ist der Strafdelikt zu seinem Alltag geworden. Oft scannt er das falsche Brötchen ein oder «vergisst» das Einscannen von dem einen oder anderen Produkt. Im Gegensatz zu anderen Straftätern kehrt er problemlos an den Tatort zurück. Seit einiger Zeit gibt er sein Geld nicht mehr für das Mittagessen aus, sondern bezieht es zulasten der Erträge von Coop. Für ihn ist das normal. «Meine Freude machen es auch, also ist es für mich nichts ungewöhnliches», sagt er, um seine Straftaten zu rechtfertigen. Seine Klassenkameraden hatte er schon oft beim Stehlen erwischt. Bei ihm an der Schule gehört es zur Normalität sein Mittagessen nicht zu Kaufen.

Eine sinnvolle Überwachung für das Coop Sulgenbach.

Michael Schäppi arbeitet seit 2014 bei der Sicherheitsfirma Protectas. Die Firma bietet Unterstützung bei Sicherheitsproblematiken, von elektronische Sicherheit bis zu Risk Management über On-Site Guarding. Zu den On-Site Guarding Dienstleistungen gehören auch Ladendetektiv und das Aufstellen von Securitas vor einem Laden. Sie bieten Hilfestellungen um das Ausarbeiten von Sicherheitskonzepten für Läden, wie das Coop Sulgenbach an. Um einen Einkaufsladen vor Diebstahl zu schützen, braucht es Zeit, um die sichersten Methoden auszuarbeiten berichtet Herr Schäppi. Er erklärt, dass vor Ort Tests durchführen werden müssen, um das beste System für den Standort einzustellen und somit Täter besser zu erfassen. Dafür müsste Coop viel Zeit investieren. Er empfiehlt es damit anzufangen eine Standort und Kundenanalyse zu führen. Er müsste beginnen mit Phasen und dabei testen, ob es mehr Verluste gibt durch Faktoren, wie Self Chek-Out Kassen oder fehlender Präsenz von Security’s die Vorort steht. Ebenfalls müsste das Bisherige Sicherheitssystem untersucht werden. Die Resultate dieser Analysen müssen anschliessend vom Sicherheitspersonal von Protectas überprüfen werden. Die Wurzeln des Problems können herausgefunden werden. Die Auswertung zeige welche Massnahmen benötigt werden, um die Stosszeiten sicher durchzubringen. Bei diesen Massnahmen könnte es sich um Personal vor Ort oder Überwachungskameras handeln. Herr Schäppi würde das Sicherheitssystem des Coops neu arrangieren. Er fragt sich wie sinnvoll es ist die Self-Chek-out Kassen für dies Sicherheit eines solchen Ladens ist. Vorallem bei einem vollen Laden, mangelt es noch an Sicherheitsbarrieren, die sinnvoll wären für gross Supermärkte. Eine andere Lösung, die einen Versuch wert wäre, die aber Herr Schaeppi nicht erwähnt, wäre es mithilfe von Einschüchterung bzw. aufstellen von klar sichtbaren Kameras, die den Einkäufer betrachtet fühlen lasse. Einschüchterungsmethoden sind bereits heutzutage weitverbreitet. Kameras in Einkaufscentren, die einem seine eigenen Bewegungen auf einem Bildschirm anzeigen, ist ein allgemein bekanntes Beispiel. Solche Methoden spielen vorallem mit der Psychologie der Kunden. Die Einkäufer fühlen sich beobachtet. Es lässt sie glauben, dass das Ladenpersonal alles sieht. Die Angst ertappt zu werden überspeilt bei vielen Täter die Lust zu stehlen.

Erst ab 300 Franken wird festgehalten.

Laut Schweizer Strafgesetzbuch (StGB, Art. 139), welches 2003 in Kraft getreten ist, wird der Begriff Diebstahl, als Aneignung eines fremdgehörigen Gegenstands, definiert. Das Gesetz sagt aus, dass Diebstahl mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft wird. In Geschäften gilt, wenn die Gestohlene Ware unter 300 Franken beträgt, ist dies kein Grund den Täter zu fesseln, bis die Polizei kommt.

Licht am Ende des Tunnels für Ladendetektive.

Der Krieg, die Energiekrise die Coronapandemie sowie die Bankenkrise haben die Inflation und somit die Teuerung vielen Produkten gestärkt. Vorallem die Preise von Fleischartikel wurden stark erhöt, dies hat viel Schweizer in Notlagen gestellt. Viele Familien hatten am Ende des Monates stark Schwierigkeit über die Kanten zu kommen. Die Entscheidung fiel entweder auf die Heizung oder auf die Lebensmittel. Viele Personen, um diesem Problem aus dem Weg zu gehen, fingen an zu stehlen. Nun nimmt die Inflation ab dir Preise sinken langsam wieder. Für das Coop Sulgenbach ist das eine gute Nachricht. Die billigen Preise machen das Stehlen weniger attraktiv. Ob es in Zukunft noch Ladendetektive geben wird, ist unklar. Fortschritte in der Technologie nehmen stark zu, dies könnten in einigen Jahren das trainierte Auge von Ladendetektive, durch Kameras und Bewegungsmelder ablösen.